- Hallo und guten Abend
ZITAT DES MONATS
Besser ein eckiges Etwas zu sein, als ein rundes Nichts.Rudelbildung im Gottesdienst
Mär
22.
Neulich im Altenheim hatte das Pflegepersonal eine mir noch unbekannte ältere Dame im Rollstuhl zum Gottesdienst gebracht. Mit ihren wachen Augen verfolgte sie das Geschehen um sich herum. Allerdings bedingte ihre Krankheit, dass sie nahezu fortwährend vor sich her brabbelte. Sie wurde ausgerechnet neben einem der treuesten, ebenfalls im Rollstuhl sitzenden Gottesdienstbesucher geschoben. Dieser ist geistig sehr fit, vom Charakter her allerdings auch jemand, der stets offen seine Meinung sagt, und kein Kind von Traurigkeit ist.
Der Gottesdienst begann. Und das liturgische Geschehen war nun von einem permanenten brabbelnden Ostinato der Dame begleitet. Ich hatte Mitleid mit ihr. Aber auch mit den anderen Gottesdienstbesuchern. Denn obwohl ich schon mit kräftiger Stimme sprach, war das Zuhören und Sich-Konzentrieren für alle mühsam. Während der Predigt - bei der es um die Liebe Gottes und unsere Liebe zueinander ging - verstärkte sich das Brabbeln noch einmal. Dann passierte es. "Nun halt doch mal die Schnauze!!!" entfuhr es ihren Nachbarn mit heiligem Zorn. "Man kann den Pfarrer ja gar nicht verstehen!" Und um seiner Aussage Nachdruck zu verleihen, schubste er sie dabei ein wenig. Aus einem Reflex heraus wehrte die alte Dame diesen Schubser ab und wischte dem Schubsenden dabei unabsichtlich durchs Gesicht. "Ey, ey, ey - Vorsicht, Vorsicht, Fräulein ... !" erwiderte dieser mit erhobenen Zeigefinger.
Jetzt wurde es richtig munter. Ein ehrenamtlicher Helfer sprang auf, die beiden Streithähne unverzüglich zu trennen. Ich unterbrach die Predigt und versuchte zu beruhigen: "Ihr Lieben, das ist hier ein Gottesdienst ...!" Da hatte aber auch schon eine lebhafte Diskussion unter allen Gottesdienstteilnehmern eingesetzt. Die einen solidarisierten sich mit der Dame, die anderen mit dem Herrn. "Die kann doch nichts dafür!" kam es aus der einen Ecke. "Dann soll sie doch auf Ihrem Zimmer bleiben!" aus der anderen. "Nun macht nicht so ein Wirbel!" kam es von hinten. "Die soll benehmen!" von vorne. Es entstand eine Situation, die man beim Fußball als "Rudelbildung" bezeichnen würde. Erhitzte Gemüter auf der einen wie der anderen Seite.
Da sage noch einer, evangelische Gottesdienste wären zu kopflastig und emotionslos.
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